Kahlschlag: Der Fall Tägermoos-Allee
Geschichtsschreibung ein ziemlich rutschiges Ding, umkämpftes Terrain. Wer und was waren entscheidend für das Fortkommen einer Sache? Diese kleine Chronologie erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Objektivität im Fall Tägermoos, obwohl versucht wurde, den einzelnen Teilereignissen und Akteuren gerecht zu werden. Die Zeitfolge soll in erster Linie eine Erinnerungsstütze sein, helfen, in diesem komplexen Fall den Überblick zu behalten. Was derzeit noch fehlt, ist die Innensicht auf die Abläufe in der Verwaltung. Was geschah und geschieht auf Schweizer Seite? Auch die Naturschutzverbände sind noch außen vor. Aber wenn ich warte, bis alles aufgerollt und geklärt ist, wird diese Chronik wohl nicht mehr gebraucht. Bitte versteht sie also als work in Progress, die immer weiter ergänzt und - wo nötig - korrigiert werden muss.
Was bisher geschah...
11. 12. 2014 Sitzung des Technischen und Umweltausschusses (TUA), Top Verschiedenes: Die Stadtverwaltung informiert zum ersten Mal ohne Debatte und Tagesordnungspunkt über die geplanten Fäll-Maßnahmen. Begründung: Verkehrsicherungspflicht der Stadt. Stadtrat Peter Müller-Neff von der Freien Grünen Liste (FGL) beantragt eine Ortsbegehung. 15. 12. 2014 Die Stadtverwaltung informiert durch den Südkurier in wenigen Zeilen darüber, dass sie 116 Pappeln im Tägermoos in zwei Abschnitten zu fällen beabsichtigt. 20.01.2015 Ortsbegehung im Tägermoos. Erster Protest von Bürgern. 26.01.2015 Peter Müller-Neff und Günter Beyer-Köhler (beide FGL) beantragen, das Thema im nächsten Technischen- und Umweltausschuss (TUA) des Gemeinderats zu behandeln und die Bevölkerung wie auch die Gemeinderäte besser zu informieren. 29.01.2015 Gemeinderatssitzung. Einzelne Bürgerinnen melden sich in der Bürgerfragestunde zum Thema Tägermoos. Oberbürgermeister Burchardt bügelt ab: „Ein unbedeutender Eingriff, von dem in wenigen Jahren nichts mehr zu sehen sein wird...“ Er stellt klar: Das Thema komme zwar in den Umweltausschuss, aber nur zur Information. Gefällt werde sowieso. Zwei Aktivistinnen kaufen große Mengen schwarzen Stoff, den sie in Streifen reißen; am Wochenende wollen sie im Tägermoos mit Trauerflor und Anzeigen auf die drohende Fällung aufmerksam machen. 30.01.2015 Christel Thorbecke startet die Petition „Gegen den Kahlschlag am Seerhein“, die innerhalb weniger Tage 400 Menschen unterschreiben. (Zwischenstand am 3. März 2015: 2900 Unterschriften). Eine andere Frau startet taermoosallee.weebly.com, um Stellungnahmen, Gutachten, Medienberichte zu bündeln und zu kommentieren. 01.02.2015 Erste Unterschriftensammlung auf Papier in der Allee. Künstlerische Interventionen an den Allee-Bäumen: Trauerflor und Traueranzeigen, Bilder und Gedichte sollen Passanten auf die anstehenden Fällungen aufmerksam machen. Die wenigsten wissen, dass die Allee verschwinden soll. Auf die Stämme hat der Förster schon die roten Punkte gesprayt. Wann das passieren soll, wurde nicht kommuniziert. Was feststeht: Vor dem 01. März muss alles vorbei sein, dann darf nicht mehr gefällt werden. 02.02.2015 Die FGL stellt einen Eilantrag: Fällarbeiten aussetzten bis zur TUA im Februar. Die Bürgerinitiative gegen die Fällung der Bäume am Seerhein gründet sich. Rechtsanwalt Martin Luithle wird beauftragt, beim Verwaltungsgericht Freiburg Antrag auf Einstweilige Anordnung auf Fällstopp zu stellen. Er beginnt sofort mit der Arbeit. 03.02.2015 Weniger als 12 Stunden später kreischen im Tägermoos die Kettensägen: die ersten Bäume liegen. RA Luithle fordert von OB Burchardt: 1. Fällstopp und 2. Akteneinsicht. Wo sind die Gutachten, die zeigen, dass die Bäume gefällt werden müssen? Auch die SPD fordert OB Burchardt auf, die Baumfällarbeiten umgehend zu stoppen. Der Kahlschlag geht weiter. Mitglieder der BI wollen die Arbeiten verzögern, indem sie die Fällgenehmigung zu sehen verlangen. Es gibt keine. Henning Hülsmeier von der Bürgerinitiative stellt Strafantrag gegen Oberbürgermeister Burchardt wegen Fällens ohne schriftlicher Genehmigung. Wie sich später herausstellt, gibt es eine Aktennotiz ("konferenzielle Einigung"), die diese ersetzen sollte; ob dem so ist, wurde von der Staatsanwaltschaft in Kreuzlingen noch nicht entschieden. 06.02.2015 RA Luithle reicht den Antrag auf einstweilige Anordnung beim Verwaltungsgericht in Freiburg ein. Noch am gleichen Tag wird dieser abgelehnt, aus formalen Gründen. Unter anderem bezieht sich das Gericht in seiner Begründung auf die gemeinsame Erklärung von BUND/Nabu. Dort heißt es, die Pappeln hätten ihr „Altersstadium erreicht“, der Totholzanteil sei „überproportional angestiegen“. Zudem lägen „wertvolle Gutachten“ vor - von der Stadt beauftragt und daher vermutlich auch befolgt...Die Rede ist von der Auenwald-Machbarkeitsstudie der Bodensee-Stiftung. Ein Gutachten über den Zustand der Bäume gibt es nicht (vgl. Martin Wichmann in der Kreuzlinger Zeitung, 27.02.2015). Leider haben die Naturschutzverbände die Aussagen der Stadt offenbar ungeprüft übernommen. Das Gericht hat sich wiederum auf die Stellungnahme jener berufen, um die Legitimation für die Fällungen abzuleiten. Tragisch. Etwa 180 Menschen demonstrieren im Tägermoos bei sibirischer Kälte gegen die Fällungen. Mit dabei: Der SWR, der vormittags schon die Fäll-Arbeiten gefilmt hat. (Von nun an berichten Deutsche und Schweizer Medien regelmäßig zum Thema Tägermoos.) RA Luithle kann auf der Abschlusskundgebung trotz der abgelehnten Klage Hoffnung machen: Er steht in Verhandlung mit Gemeinderäten, die bereit sind, sich der Klage anzuschließen. Die Narrengruppe Tägermooser-Nervensägen gründet sich (mit eigenem Blog) als Komischer Arm der BI, um in den bevorstehenden närrischen Tagen nicht komplett aus den Medien gedrängt zu werden. Die Strategie geht auf: Über die Aktionen der Gruppe wird rege berichtet. Sie bringen der BI weitere Sympathiepunkte bei den Konstanzern ein. 09.02.2015 RA Luithle ist es gelungen, zwanzig Stadträte zu überzeugen, sich offen gegen das Vorgehen der Stadtverwaltung zu positionieren: Sie stellen einen Antrag auf einstweilige Anordnung auf Fällstopp beim Verwaltungsgericht in Freiburg. Vier Stunden nach Einreichung des Eilantrags mit den Gemeinderäten lässt Oberbürgermeister Burchardt zur Mittagszeit die Fällungen vorläufig stoppen. Offizielle Begründung: Das Gericht soll in Ruhe entscheiden können. Die beiden Klagen und der anhaltende Prostest haben endlich genügend Druck aufgebaut. Im Tägermoos liegen 41 Bäume, grundlos gefällt und unwiederbringlich verloren. 10.02.2015 Weiterer Antrag der FGL auf Fällstopp um eine „sachliche Beratung zu gewährleisten.“ OB Burchardt räumt „Kommunikationsfehler“ in Sachen Tägermoos ein 11.02.2015 Die zweite Klage mit den Räten wird abgewiesen. Wieder aus formalen Gründen. Erfolgreich war das Vorgehen Luithles dennoch: OB Burchardt erklärt, dass keine Bäume mehr gefällt werden. 19.02.2015 Die Fondation Franz Weber aus der Schweiz (die BI hat beiderseits der Grenze fieberhaft nach Unterstützern gesucht) beauftragt einen Baumspezialisten. Die gefällten Bäume sowie die restliche Allee sollen begutachtet werden. Fabian Dietrich aus Bern stellt fest: Die Allee-Bäume sind und waren alle gesund und vital und sind im Verhältnis zu ihrer möglichen Lebensdauer von 300 Jahren mit etwa 65 Jahren noch jung; keine einzige Pappel hätte gefällt werden dürfen; mit geringem Aufwand hätte die Verkehrssicherheit erhalten bleiben können. 24.02.2015 Der Fall Tägermoos ist erneut im TUA, dieses Mal wie es sich gehört mit eigenem Tagesordnungspunkt und Vorlage. Mittags haben die Stadträte von der BI das schriftliche Gutachten Fabian Dietrichs erhalten, einige haben es bereits gelesen. Die Empörung bei FGL, SPD, Linke Liste ist groß: Warum hat die Stadt falsch informiert? Die Räte des Jungen Forums kritisieren vor allem das Verfahren der Verwaltung. Bürgermeister Langensteiner-Schönborn fordert mehrfach "den Blick nach vorn zu richten" und lediglich über Wiederaufforstungskonzepte zu sprechen. Als scharfe Kritik an ihm laut wird räumt er ein, Fehler begangen zu haben. Eine breite Mehrheit der Stadträte beschließt, noch keinen Beschluss zur Wiederaufforstung zu fällen: Erst nach einer breit geführten Diskussion mit Bürgerbeteiligung soll eine neue Vorlage zu erarbeitet werden, die dann im Umweltausschuss diskutiert und im Gemeinderat abschließend behandelt und abgestimmt werden soll. 28.02.2015 Eröffnungsveranstaltung von „Allez!“ mit Baumsammler und Autor Michel Brunner, der zum Thema Alleen und Hybridpappeln spricht. Mit „Allez!“ will die Bürgerinitiative mit Lesungen, Führungen, Konzerten und Diskussionen in loser Folge die lebendige Allee feiern. 26.03.2015 In der Gemeinderatsitzung bringt OB Burchardt überraschend und ohne Vorlage die Pappel-Allee wieder auf den Tisch. "Alle krank", konstatiert er im offenen Widerspruch zu dem Gutachten des Schweizer Baumexperten Fabian Dietrich. Er sehe in Sachen Tägermoos "keinen Spielraum" für politische Debatten. Es scheint, Burchardt wolle wieder Fakten schaffen, indem er vor der angekündigten TUA im Juli die alleinige Deutungshoheit über den Zustand der Bäume wieder allein für die Verwaltung reklamiert. 16. Juli 2015 TUA Sitzung mit Diskussion, doch ohne Entscheidung über das Wiederaufforstungskonzept: Alleen in alter Länge – Allee in voller Länge/Auenwald nebeneinander – Allee beschnitten mit Auenwald als Eingangs- und Ausgangstor – Allee, länger als zuvor ab Ziegelhof. Zu klären bleibt neben der Gestalt der Allee auch noch, welcher Baum nachgepflanzt werden soll: Schwarzpappel? Hybridpappel? Noch ohne Termin Öffentlicher Workshop zum Thema „Vorgehen im Tägermoos“ 23. Juli 2015 Gemeinderatssitzung, in der über das Konzept fürs Tägermoos entschieden werden soll. Kahlschlag am Seerhein stoppen! |
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